Studentische Partizipation in der Hochschullehre initiieren

Handreichung für Lehrende.


4. Studentische Partizipation ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Auch wenn Lehrende einen Wissensvorsprung haben, ist es wichtig, dass sie sich in großen Teilen in eine Moderationsrolle begeben, um die Gemeinsamkeit des Planungsprozesses nicht nur als aufgesetzt und äußerlich erscheinen zu lassen (vgl. Reich 2008: 252).

Um Lehr-Lern-Situationen partizipativ zu gestalten, müssen Lehrende und Studierende gemeinsam Verantwortung übernehmen. Beispielsweise steht im Leitbild Lehre der Universität Hamburg, dass die Übernahme von Verantwortung durch Studierende erwünscht ist und gefördert werden soll (vgl. Universität Hamburg 2017). Es ist unserer Einschätzung nach nicht möglich, Studierenden Verantwortung zu übergeben, wenn sie diese gar nicht wollen (vgl. auch Weßling 1995). Umgekehrt müssen auch Studierende sich darüber im Klaren sein, dass sie der Lehrperson eine gewisse Verantwortung über ihren Studienerfolg überlassen. In Lehrveranstaltungen geben die Studierenden Verantwortung an die Lehrenden ab und entscheiden eigenständig, welche Verantwortung sie selbst wahrnehmen. Für erfolgreiche Partizipation müssen die Bereitschaft, Kompetenzen und Wissen auf beiden Seiten verfügbar sein, um einerseits Verantwortung anbieten zu können und andererseits Verantwortung annehmen zu können. Dies erfordert konstanten Austausch über den aktuellen Prozess und kann geübt werden. Lehrende und Lernende entwickeln so sich selbst und die Lehre gemeinsam weiter.

Neben der Kontinuität ist auch Wechselseitigkeit zentral für studentische Partizipation. Alle Prozesse, die studentische Partizipation begünstigen, laufen wechselseitig ab. Insbesondere in Fragen des Vertrauens und der Verantwortung ist ein Geben und Nehmen aller Beteiligten notwendig, um studentische Partizipation erfolgreich umzusetzen. Ebenso muss Feedback in beide Richtungen fester Bestandteil der Lehrveranstaltung sein (siehe auch nächstes Kapitel). Lehrenden kommt hier eine direkte Vorbildfunktion zu. Indem sie offen und transparent mit den Studierenden umgehen, wird auch für die Studierenden dieses Verhalten selbstverständlicher. Genauso kann der erste Schritt auch von Studierenden ausgehen. Wer mehr Partizipation möchte, hat die Freiheit und trägt zugleich die Verantwortung, dies zu kommunizieren.

In partizipativen Seminaren wird nicht nur der Inhalt diskutiert, sondern es wird auch immer wieder über die formale Gestaltung des Seminars selbst gesprochen. Wenn gegenseitiges Vertrauen in die wissenschaftlichen Fähigkeiten und Partizipationskompetenzen besteht, können gemeinsam Entscheidungen getroffen werden, sodass dann alle Parteien zu dieser Entscheidung stehen. Die intensiven Diskussionen auf struktureller Ebene übertragen sich im besten Fall auch auf inhaltliche Diskussionen und ermöglichen so eine Steigerung der Qualität der Ergebnisse des Seminars.

Verantwortung anbieten und annehmen und studentische Partizipation in der Hochschullehre stehen oftmals in einem engen Verhältnis. Zu betonen ist, dass Studierende selbstständige erwachsene Menschen sind, die sich bewusst für das Studium entschieden haben. Die Verantwortung für ihren Lernerfolg und den erfolgreichen Abschluss des Studiums liegt bei den Studierenden selbst. Sie können jedoch Verantwortung an Lehrende abgeben, die Seminare leiten und Schwerpunkte setzen, in der Annahme, dass diese den Lernerfolg der Studierenden optimal fördern und zum erfolgreichen Studium der Studierenden beitragen. Lehrende sind ihrerseits verantwortlich für die Umsetzung der eigenen Lehrveranstaltungen und die Einhaltung der curricularen Vorgaben. Sie vermitteln Studierenden Wissen und stehen in der Verantwortung, den Studierenden transparent zu machen, was von ihnen erwartet wird, um einen gemeinsamen Lehr-Lern-Erfolg zu generieren.

Nach Alexander Wörner (2008) entsteht gute Lehre erst dann, wenn Lehrende sich von einer Alleinverantwortung distanzieren und sich selbst, ebenso wie den Studierenden, verdeutlichen, wofür sie nicht verantwortlich sind (vgl. Wörner 2008: 122). Was Wörner hier für Lehre allgemein formuliert, gilt auch speziell für studentische Partizipation. Die Definition von Partizipation in der Lehre von Reich (2008), dass Lernende und Lehrende gemeinsam Verantwortung für die Planung, Durchführung und Evaluation von Lehrveranstaltungen übernehmen und Entscheidungen gemeinsam treffen, zeigt, dass Verantwortung einen wichtigen Bestandteil von Partizipation darstellt und stets mitgedacht werden sollte. Für erfolgreiche Partizipation müssen insoweit Bereitschaft, Kompetenzen und Wissen verfügbar sein, um einerseits Verantwortung anbieten und andererseits Verantwortung annehmen zu können.

Vorschläge für die Lehrpraxis:

A. Diskutiere in der Veranstaltung mit allen Beteiligten gemeinsam über Verantwortung. Hierzu bietet sich als Einstieg das digitale Tool “Answergarden” an: https://answergarden.ch/ Beispiele für Fragen: Wann ist die Veranstaltung für mich gelungen? Wer trägt Verantwortung für das Gelingen dieser Lehrveranstaltung?

B. Führe einen Realitätscheck durch: Studentische Partizipation in der Lehre in allen Phasen und auf mehreren Ebenen zu planen, bedeutet auch, dass alle Beteiligten sich selbst vergegenwärtigen, welche Entscheidungen bezüglich des Seminars überhaupt gemeinsam getroffen werden können und wo Prüfungsordnungen und Modulbeschreibungen keinen Spielraum für Veränderungen geben. Hier können Lehrende von Anfang an transparent machen, welche Möglichkeiten es gibt.

C. Formuliere mit allen Beteiligten gemeinsam die Ziele der jeweiligen Lehrveranstaltung auf Grundlage von Prüfungsordnung, Modulhandbuch und eigenen Interessen der Studierenden. Bedenke, dass eine Mehrheitsentscheidung nicht immer gleichzeitig Partizipation bedeutet. Es kann auch von Vorteil sein, jede einzelne studentische Meinung in den Entscheidungsprozess einzubeziehen und zu diskutieren

D. Durch eine, dem Seminar vorgelagerte Vorbesprechung eröffnet sich die Möglichkeit, Studierenden ihre Verantwortung für das Gelingen des gemeinsamen Seminars zu verdeutlichen. Hier kann gemeinsam ein Seminar entworfen werden, das eine Kombination aus curricularen Vorgaben, Vorkenntnissen und Forschungsinteressen der Studierenden sowie Schwerpunkten der Lehrenden darstellt. Da Entscheidungen über das Seminar gemeinsam getroffen werden, stehen auch alle gemeinsam für die Konsequenzen gerade und sind in der Verantwortung, sich fortlaufend für das zuvor Verabredete einzusetzen. Lehre kann somit als Gruppenprozess verstanden werden, der von dem Engagement und der Eigeninitiative von Lehrenden und Studierenden geprägt ist.

Reflexionsfragen:


Vorwort« 1. Was ist...?« 2. Handlungsraum« 3. Kontinuität« 4. Gemeinschaftsaufgabe» 5. Feedback» 6. Nähe, Identifikation & Vertrauen» 7. Abschluss, Unterstützer*innen und Quellen

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